"The Sopranos": Im Planschbecken der Männlichkeit
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Das Ende der Sopranos im Jahr 2007 hingegen gibt bis heute Rätsel auf. In der letzten Folge saß Tony zum Schluss in dem passend mittelmäßigen Restaurant Holsten’s und wartete auf seine Lieben, die nach und nach eintrudelten, Ehefrau Carmela, Sohn AJ, zuletzt Tochter Meadow. Tony starrte die ganze Zeit auf die Tür, durch die womöglich auch sein Mörder das Holsten’s betreten würde oder bereits betreten haben konnte. Starb Tony oder starb er nicht in dem Moment, da der Bildschirm plötzlich schwarz wurde und der eh schon recht unerträglich sentimentale Erbauungs-Rocksong Don’t Stop Believin’ von Journey mitten im Refrain stoppte, eben bei "Don’t stop ..."?
Das ist die völlig falsche Frage. Darauf können sich die Autoren des gerade erschienen Buchs The Soprano Sessions einigen, Matt Zoller Seitz und Alan Sepinwall, die in ihrer einstigen Funktion als Fernsehkritiker der Newarker Lokalzeitung The Star-Ledger dessen Schicksal von der ersten Folge an begleiteten (Tony grapschte seinerseits sein Exemplar des Star-Ledger gern im Morgenmantel vom Boden seiner Hausauffahrt). In dem Buch diskutieren Zoller Seitz und Sepinwall in einem Kapitel mit verteilten Rollen die Sache mit dem Tot-oder-nicht-tot, und Zoller Seitz sagt irgendwann, die bessere Frage laute ohnehin: Was bedeutet dieses offene Ende?
Den Regeln nicht nur des Gangsterfilms, sondern auch allgemeinen Moralvorstellungen entsprechend müsste der Böse für seine Untaten irgendwann bestraft werden, und für einen Mafioso wäre der einzig passende Schluss eigentlich der Tod. Doch um den geht es ja die ganze Zeit in dieser Serie: Sie handelt letztlich nicht nur von der Angst vorm Tod, die die Hauptfigur auch berufsbedingt als Mafioso permanent mit sich herumschleppt (die Angst ist als memento mori schon von Anfang an Tonys Strafe; ihr kann er nicht entgehen). Die größte Ungerechtigkeit der irdischen Existenz ist nach David Chase womöglich gar nicht deren Begrenztheit: Seine Serie handelt vor allem von der Unvorhersehbarkeit, wann und wie der Tod das Leben beendet.
Wir dürfen auch nicht vor dem Ende sterben
Paradox daran ist, dass die Erzählform der Serie in diesem Sinne ein durch die Episodenstruktur extrem vorhersehbarer und geregelter, ständiger Aufschub des Todes von Tony Soprano war: Wir wussten, dass er als Hauptfigur nicht vor der letzten Folge sterben konnte. Und dann aber, am Ende, war es längst egal, ob er nicht vielleicht doch einfach weiterlebte. Wir mussten es auch: Serien gucken ist irgendwie ja auch eine Form des Aufschubs des eigenen Todes (wir dürfen ebenfalls nicht vor dem Ende sterben oder schlicht aufhören, zu schauen – dafür investieren wir viel zu viel Zeit in einzelne Serien). Und es ist bestenfalls eine ziemlich gute und langwierige Ablenkung von der Gewissheit der eigenen Endlichkeit.
Seine Schuld jedenfalls musste Tony nicht gleich mit ins Grab nehmen. Die haben wir ihm womöglich von Anfang an verziehen, und das könnte vor allem an seinem Darsteller James Gandolfini gelegen haben. David Chase zumindest hat in seiner Grabrede auf Gandolfini, der im Juni 2013 an den Folgen eines Herzinfarktes starb, auf die Frage "Warum lieben wir Tony Soprano derart, obwohl er solch ein Scheißkerl war?" geantwortet: "Meine Theorie war, dass (die Leute) in ihm den kleinen Jungen sahen. Sie spürten und liebten den kleinen Jungen, und sie spürten seine Liebe und seinen Schmerz." Es sei ein Missverständnis gewesen, dass Tony sich nie verändert habe, sagte Chase. Er habe es wieder und wieder versucht. So wie Gandolfini selbst: "Du hast es versucht und versucht, mehr als die meisten von uns, und manchmal hast du es auch zu sehr versucht."
Stets den kleinen Jungen im erwachsenen Mann zu sehen, der sich doch so sehr bemüht und dessen Zukunft immer weiter offen scheint: Vielleicht ist der große Trick, der große Selbstbetrug auch eines Repräsentanten toxischer Männlichkeit, stets zu glauben, es sei noch nicht zu spät – als könne er, als könne sich noch alles ändern; als gäbe es einen Weg zurück in einen Zustand der Unschuld, in eine Zeit vor den Untaten.
Das ist dann wohl auch das ewig Aktuelle und zugleich Überzeitliche und Zeitlose an einer Figur wie Tony Soprano. "Und ich sah dich als Jungen", sagte David Chase über James Gandolfini an dessen Grab, "als traurigen Jungen, verblüfft und verwirrt und liebend und überrascht von all dem. Das fand sich in deinen Augen. Und das war, warum du ein großer Schauspieler warst, wie ich glaube – wegen des Jungen in dir." Gandolfini sei ein intelligenter Mann gewesen, natürlich, doch er habe eben diese einfachen, puren Gefühle besessen. Die "Unermesslichkeit des Menschengeschlechts" habe Gandolfini auf uns zurückgeworfen, als helles Licht, sagte Chase. "Und ich glaube, nur eine reine Seele, die eines Kindes, kann das wirklich gut. Und das Kind warst du."
Der wesentliche Unterschied zwischen Tony Soprano und, sagen wir, Donald Trump wäre dann lediglich, welche Art von kleinen Jungen wir im erwachsenen Mann erkennen. Den dummen, blindwütigen, verzogenen. Oder den, vor dem noch alles liegt, ein ganzes Leben, und aus dem so vieles werden könnte. Ein guter Mann zum Beispiel.